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Auf der Suche nach dem Ungesagten: Interview mit der Lyrikerin Sigune Schnabel

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In der Kultur-Reihe stellen wir euch heute Sigune Schnabel vor, die bereits die zwei Gedichtbände Apfeltage regnen und Spuren vergessener Zweige veröffentlicht hat. Beide sind im Geest-Verlag erschienen und bald kommt ein dritter Band hinzu: Auf Zimmer drei liegt die Sehnsucht.

Vorbereitungen

Liebe Sigune, schön, dass du dir Zeit für dieses kurze Interview nehmen konntest. Du bist ja wahrscheinlich neben deiner hauptberuflichen Tätigkeit sehr beschäftigt mit den Vorbereitungen für die Veröffentlichung des dritten Bandes, oder?

Sigune: Die Hauptarbeit ist bei mir immer die Zusammenstellung der Gedichte, die Anordnung in Kapitel, Auswahl und auch Überarbeitung der einzelnen Texte. Den Anfang bildet eine Materialsammlung, die über mehrere Jahre entsteht. In der Datei speichere ich alle Texte, die nach einer ersten Durchsicht für einen Band in Frage kommen. Anstelle von Kapitelüberschriften arbeite ich mit Kategorien wie „Kommt ins Buch“, „Vielleicht“ oder schlichtweg „Nicht nehmen“. In der Regel enthält diese Datei etwa doppelt bis dreimal so viele Texte wie der fertige Lyrikband. Nach und nach schiebe ich immer mehr Gedichte in die letzte Kategorie, während sich oben ein Konzept, eine Reihenfolge, schließlich auch eine Kapiteleinteilung abzeichnet. Dieser Prozess des Ordnens nimmt bei mir Monate in Anspruch.

Natürlich sind das Verlagslektorat, die Korrekturfahne oder die Titelfindung auch Arbeitsschritte, die ihre Zeit brauchen. Im Moment stehe ich vor allem mit dem Maler Simon Lèbe in engem Austausch. Er wird wieder sieben Bilder für den Innenteil und ein weiteres für den Umschlag zur Verfügung stellen. Normalerweise bin ich in diesem Stadium des Entstehungsprozesses außerdem stark in die Organisation der Buchpremiere eingebunden. Leider wird es dieses Mal nur eine Online-Premiere geben. Natürlich hoffe ich nach wie vor, die eigentliche Veranstaltung im Lauf des Jahres nachholen zu können. Zu der Welt von früher wird es jedoch noch lange kein Zurück geben; vielleicht wird das auch nie der Fall sein. Die Veranstaltungsorte von damals werden mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit beispielsweise nicht unter den strengen Auflagen des letzten Sommers arbeiten können, und die Landschaft aus kleinen Örtlichkeiten und Kulturcafés wird bereits jetzt eine andere sein als 2019.

Wie kann ich mir als Laie den Auswahlprozess vorstellen, welches Gedicht es in einen Band von dir schafft?

Sigune: Ganz vorne steht die sprachliche Qualität. Eine weitere Rolle spielt der thematische Rahmen. Fügt sich ein Gedicht gut in ein Kapitel ein? Passt es an die jeweilige Stelle – wenn nicht, wirkt es vielleicht in einem anderen Kapitel als sinnvoller und wichtiger Teil der Komposition? Manchmal sortiere ich auch Texte aus, die mir am Herzen liegen, weil sie sich nicht in das Gesamtbild einfügen oder weil mir ein Thema sonst zu viel Raum einnimmt, vielleicht auch ein einzelnes Wort zu häufig verwendet wird, so dass die Grenze zwischen gewolltem Zusammenhalt der Einzeltexte und dem, was ich als zu viel empfinde, auch ein wichtiges Kriterium bildet. Beispielsweise enthält mein Manuskript 17 Mal das Wort „Schnee“. Auf sieben Kapitel verteilt ist das ein Leitmotiv, das zur Atmosphäre des Bandes beiträgt. 

Vom „Reim-dich-oder-ich-fress-dich-Modus“ zu Veröffentlichungen

Wann hast du dein erstes Gedicht geschrieben?

Sigune: Das erste Gedicht, an das ich mich erinnern kann, habe ich als Zeugnisspruch für meine Lieblingspuppe Anna geschrieben. Das Gedicht handelt von Natur und Elfen und enthält sprachlich alles, was einen schlechten Text ausmacht. Der Anfang lautet „Die Sonne scheint im Himmelsblau / Es dämmert schon im Morgentau“ – also ein Widerspruch. Danach geht es im „Reim-dich-oder-ich-fress-dich-Modus“ mit Satzverdrehungen weiter. Die Anzahl der Rechtschreibfehler liegt bei einem pro Vers. Zum Notieren hatte ich einen Buntstift verwendet, dessen Mine aus vier Farben bestand. Warum ich das noch weiß: Meine Mutter hat das Gedicht für mich aufgehoben.

Wie würdest du deine Entwicklung beschreiben?

Sigune: Später schrieb ich lange Zeit fast ausschließlich Prosa. Damals war ich auf jetzt.de, der Jugendseite der Süddeutschen Zeitung, aktiv und konnte mich erstmals öffentlich ausprobieren. Erst 2013 fing ich an, mich ausgiebiger mit Lyrik zu beschäftigen. Meine Gedichte aus der damaligen Zeit enthielten oft gute Ideen, waren aber sprachlich noch nicht ausgereift. Heute geht es mir vor allem um ein Herantasten an das Unsagbare – ein Unterfangen, das von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, aber gerade dadurch immer wieder in neue Versuche mündet. Ich merke oft, wie ich etwas ausdrücken möchte, für das unsere Sprache gar keine Worte hat, denn sie ist zwangsläufig konventionalisiert, was ein Herunterbrechen auf Hauptmerkmale nötig macht, und unzulänglich für viele der feineren Zwischentöne. Am ehesten kann die Lyrik sich da herantasten und den Raum des Darstellbaren erweitern. 

Verlagszusammenarbeit und Auszeichnungen

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem Geest-Verlag?

Sigune: Ab 2015 habe ich mich regelmäßig an Projekten des Geest-Verlags beteiligt und ich hatte bereits im selben Jahr das Glück, zu einem Workshop im Rahmen des Brüggener Literaturherbstes eingeladen zu werden. Dort durfte ich zum ersten Mal vor Publikum lesen. Zur Buchveröffentlichung kam es aber erst zwei Jahre später. Damals fiel mehreres zusammen: Zum einen war ich erste Preisträgerin des von Stefan Hölscher und dem Geest-Verlag ausgerichteten Lyrik-Wettbewerbs „Die süße Jagd nach Bitternissen“; zum anderen wurde ich als Finalistin zum Literarischen März nach Darmstadt eingeladen, war aber in Auftritten noch sehr unerfahren. Als Vorbereitung durfte ich meine Gedichte im Geest-Verlag einlesen. Während dieses Lese-Workshops, wenn man es so nennen möchte, erhielt ich das Angebot, meinen ersten Band dort zu veröffentlichen.    

Dazu noch einmal herzlichen Glückwunsch! Du hast bereits einige Preise für deine künstlerische Arbeit bekommen. Inwieweit ist das eine Bestätigung für dich?

Sigune: Für mich bedeutet das sehr viel, weil es mir zeigt, dass meine Versuche dort draußen Menschen erreichen. Lyrik fristet ein Nischendasein, und in meinem Umfeld kenne ich nur wenige, die sich für das, was ich mache, interessieren. Durch eine Auszeichnung – aber auch andere Formen der Rückmeldung – merke ich: Irgendwo über Städte und Länder verteilt gibt es doch Einzelne, für die meine Worte einen Mehrwert schaffen.

Die Lyrik und das Übersetzen

Wir kennen uns aus dem gemeinsamen Studium, das wir – genau wie Roswitha Giesen – als Literaturübersetzerinnen abgeschlossen haben. Hast du auch schon Gedichtbände ins Deutsche übersetzt?

Sigune: Bisher leider nicht, aber einzelne Gedichte, z. B. für die Literaturzeitschrift kalmenzone.

Und werden deine Gedichtbände oder einzelne Gedichte in andere Sprachen übersetzt? Wie ist die Zusammenarbeit?

Sigune: Meinen ersten Band hat der Maler, mit dem ich auch jetzt für den dritten zusammenarbeite, ins Englische übersetzt. Bisher wurden jedoch nur einzelne Gedichte im englischen Sprachraum veröffentlicht. Die Zusammenarbeit lief über einen engen Mailaustausch ab. Der Übersetzer schickte mir Fragen und machte Vorschläge. Auf Basis meiner Antworten erarbeitete er dann die Endfassung. Manchmal stellte ich auch Tonaufnahmen einiger Gedichte zur Verfügung, da ihm das noch einen besseren Eindruck vom jeweiligen Text gab.

Außerdem wurden Gedichte von mir ins Tschechische, Ukrainische, Russische, Griechische und Rumänische übersetzt.

Lieblingstiere

Deine Lyrik beschäftigt sich sehr mit Naturmotiven. Inwieweit spielen Tiere eine Rolle in deinem Leben? Hast oder hattest du Haustiere?

Sigune: Als Kind hatte ich eine Zeitlang Zebrafinken, und in meinen frühen Zwanzigern lebte ich mit zwei Katzen zusammen.

Katzen sind nach wie vor meine Lieblingstiere. Bis vor dem Lockdown letztes Jahr im März war mein Leben jedoch zu hektisch und ich war fast immer unterwegs, sodass ich einem Tier – egal welchem – kein gutes Zuhause geboten hätte.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für den dritten Band.

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