Ich war endlich einmal in Tschechien, dem Land, aus dem ein Teil meiner Vorfahren stammt. Deshalb zeige ich euch Orte, an denen spürbar wird, wie aktuell Geschichte immer noch ist. Und es gibt noch einen Literaturtipp für Hundefans von Finlay.
Jüdisches Viertel in Prag
Das geschichtsträchtige Prag wartet mit vielen Sehenswürdigkeiten auf. Besonders lohnt es sich, das jüdische Viertel anzuschauen. Sechs Synagogen und der jüdische Friedhof können interessierte Besucherinnen und Besucher mit nur einer Eintrittskarte besichtigen. Berührend ist die Pinkas-Synagoge, in der zwei Maler die 80.000 Opfer des Holocausts aus Böhmen und Mähren an den Wänden verewigt haben. Manch einen mögen die schier unendlich vielen Namen und Lebensdaten erschlagen, jedoch versinnbildlichen sie eindrücklich den Massenmord an der jüdischen Bevölkerung.
In der Spanischen Synagoge befindet sich das jüdische Museum. Dort hörte ich neben mir plötzlich zwei deutsche Jugendliche, die über die Ausstellung sprachen: „Irgendetwas müssen die [Juden] ja getan haben …“ Dieser eine Satz verdeutlicht, wie wichtig solche Ausstellungen immer noch sind. Denn sie machen – anders als dröger und mitunter schlecht gestalteter Geschichtsunterricht – echte Schicksale lebendig. An dieser Stelle bin ich dankbar für meinen engagierten Geschichtslehrer Herrn Lutz Kazmierzak. Auf interaktiven Tafeln scrollte ich durch Biografien von Sportlern oder Künstlern, die teilweise den Nationalsozialismus unterschätzt und diesen Fehler mit dem Leben bezahlt haben.
Die Unterstellung, dass Opfer an ihrem Schicksal selbst schuld sind, ist aktueller denn je und bezieht sich nicht nur auf das Judentum. Auch der Prozess in Avignon um Gisèle Pélicot, deren Ehemann sie betäubt und dann zur Vergewaltigung im Internet angeboten hat, ist ein Beispiel dafür, warum ein falsches Verhalten nicht durch die Opferumkehr entschuldigt werden kann. Fragen wie „Was hatte sie denn an?“ oder „Hat sie es vielleicht darauf angelegt?“ waren und bleiben unverzeihlich, weil sie den Leidtragenden eine Mitschuld geben. Das Verhalten des Täters ist aber das, was im Mittelpunkt stehen sollte. Geschädigten die Scham und die Brandmarkung zu nehmen und die Täter ihre Schuld allein tragen zu lassen, muss ein wichtiges Ziel sein. Oder fordert ein Baby, das von einem Pädophilen vergewaltigt wird, auch sein Schicksal heraus?!?
Meine Vorfahren in Tschechien: Děčín
Aus Děčín (früher Tetschen-Bodenbach) stammte meine Großmutter mütterlicherseits. Als der Krieg 1945 endete, war sie gezwungen, mit ihren Eltern und nur wenig Hab und Gut im Alter von zehn Jahren ihre Heimat zu verlassen. Diesen Teil der Geschichte zeigte das Regionalmuseum in Děčín eindrucksvoll in der Wanderausstellung Děti nepřítele? Kinder des Feindes?. Waren die Kinder damals Tschechen oder Deutsche? Was bedeutet das überhaupt? Wie sahen deren Schicksale aus? Landeten sie in Lagern, wurden umerzogen oder mussten sie wie meine Oma irgendwo in der Fremde ganz neu anfangen?
Mit vielen Zeitzeugen wird das Leid der Kinder spürbar. Ich kann nur erahnen, wie es meiner Oma ging, als sie so entwurzelt wurde. Umso wichtiger sind solche Ausstellungen, die das Vergessen verhindern sollen. Schließlich lassen die derzeitigen Kriege wieder verwundete Kinder mit ihren geschundenen Seelen zurück.
Tschechisches Kinderbuch: Daschenka
Damit wir positiv enden, komme ich, Finlay, an dieser Stelle ins Spiel. Nine hat natürlich wieder mal die Buchläden in Tschechien unsicher gemacht und ein Kinderbuch gefunden. Statt um den Kater Mikesch geht es um ein Hundemädchen namens Daschenka oder das Leben eines Hundekindes (tschechischer Originaltitel: Dášeňka čili život štěněte). Karel Čapek erzählte in den 1930er Jahren von der jungen Foxterrierhündin, die den Alltag der Familie Čapek auf den Kopf stellt. Durch die Illustrationen bekommt die Geschichte Unbeschwertheit, die sie sonst nicht hätte. Ich finde, für Hundefans kann es ein kurzweiliges Leseerlebnis sein.
Zum Glück beginnt bald die Adventszeit, die wir schon mit Weihnachtsgeschichten eingeläutet haben. Ich kuschele mich jetzt in meine Heizungsliege und mache es mir gemütlich.