Am 9. November jährt sich der Mauerfall zum 35. Mal. Zu diesem Tag stelle ich zwei Bücher zur DDR vor, ein Sachbuch und eine Novelle.
35 Jahre Mauerfall: Gibt es noch Unterschiede zwischen Ost und West?
Ich bin 39 Jahre alt. Als die Mauer am 9. November 1989 fiel, war ich also gerade einmal vier. Erinnerungen an die DDR habe ich keine. Was es heißt, „Ostdeutsche“ zu sein, wurde mir erst als Jugendliche und junge Erwachsene bewusst. Sprachliche Ausdrücke wie „die Wende“, die vor allem im Osten Deutschlands gebraucht werden, waren damals für mich selbstverständlich. Als ich vor 19 Jahren meine Heimatstadt verließ, um „im Westen“ zu studieren, war mir klar, dass ich mich anpassen muss, um nicht zu viel Aufmerksamkeit zu erregen. Mein Dialekt, der für mich auch ein Soziolekt war, verschwand mit der Zeit und kommt nur wieder hervor, wenn ich etwas länger mit meiner Familie spreche. Dann möchte ich da nicht „auffallen“ und stelle mich unbewusst darauf ein.
Was ist Heimat? Für mich ist es ganz Deutschland, denn durch Aufenthalte im Ausland sehe ich mich eher als Europäerin. Ich werde immer aus Brandenburg kommen, obwohl ich in Düsseldorf ein neues Zuhause gefunden habe. „Home is where the heart is.“ Mein Herz hängt zusätzlich an anderen Orten wie Nantes.
Oft werde ich nach Unterschieden zwischen Ost- und Westdeutschland gefragt. Tatsächlich eint uns mehr, als uns Ansichten, Dinge oder wirtschaftliche Situationen trennen. Seit meiner Zeit im Ausland weiß ich, dass alle Deutschen gerne meckern, auch wenn es uns verglichen mit anderen (europäischen) Ländern gut geht. Die Lebensumstände sind inzwischen ähnlich, die Mieten sind in ostdeutschen Großstädten explodiert. Lebensmittel kosten überall gleich viel, außerdem sind Strom und Gas im Osten seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine nicht mehr spottbillig. Bisher werden Gehälter immer noch nicht angeglichen, stattdessen gibt es zusätzlich das Nord-Süd-Gefälle, wonach im Süden die Löhne und Gehälter am höchsten sind – angepasst an die dortigen Lebenshaltungskosten. Dementsprechend ziehe ich keine Grenze zwischen alten und neuen Bundesländern.
DDR-Wörterbuch: Mit der Schwalbe zur Datsche
Im Sachbuch Mit der Schwalbe zur Datsche: Wörter aus einem verschwundenen Land sammelte Dr. Antje Baumann für den Duden-Verlag DDR-Begriffe, die sich teilweise bis heute halten und nicht nur in Ostdeutschland bekannt sind. FKK, Babyjahr, Schwalbe – sie werden in Westdeutschland problemlos verstanden. Andere sind doch eher lokal geprägt: „Kaufhalle“ für den „Supermarkt“, „Nicki“ für „T-Shirt“ und „Auslegware“ für „Teppich“. Mit diesen und anderen Wörtern bin ich in den 1990er Jahren ganz selbstverständlich aufgewachsen und lernte erst in der Schule, dass sie aus der DDR-Zeit stammen.
Die Wörter, die Baumann ausgewählt hat und die ich nicht alle kannte, erzählen viel über die 40 Jahre DDR-Geschichte. Mit der Schwalbe zur Datsche ist bei weitem kein „Wörterbuch“ im eigentlichen Sinne, sondern es zeigt eher auf, wie der DDR-Staat funktionierte. Beispielsweise die Zeitangabe „viertel elf“ ist für mich ebenfalls nicht auf Ost- gegen Westdeutschland zu reduzieren, da diese auch in Süddeutschland gebräuchlich ist. Ich habe viele Ausdrucksweisen übernommen, aber „viertel“ und „dreiviertel“ bleiben für mich maßgeblich. 😉
Novelle von Erik Neutsch: Zwei leere Stühle
Die Novelle Zwei leere Stühle des regimetreuen DDR-Autors erschien 1979. Neutsch ist eher für seinen Roman Spur der Steine bekannt, der mit Manfred Krug in der Hauptrolle verfilmt wurde. Aus den 1980er Jahren gibt es Zwei leere Stühle ebenso als filmische Adaption mit Walter Plathe und Janina Hartwig, die ich als Schülerin im Deutsch-Unterricht gesehen habe.
In der Novelle geht es um zwei Stühle, die bei einem Absolvententreffen leer bleiben, da Uwe Tolls und Wolfgang Lichterfeld nicht gekommen sind. Im Rückblick erfährt der Leser, wie beide Jungs in der Schule waren: der eine Klassenbester, der andere das schwarze Schaf. Die Erwartungshaltung zu ihrer Regimetreue könnte daher nicht unterschiedlicher sein. Während die Schule bei Uwe davon ausgeht, dass er vielleicht irgendwann einmal in den Westen flüchtet, entspricht Wolfgang dem Bild des linientreuen SED-Anhängers. Doch die beiden Schicksale entwickeln sich anders als erwartet und verdeutlichen, dass Menschen nicht zu früh in Schubladen gesteckt werden sollten. Damit ist das Buch für mich auch heute noch relevant, weil Stereotype in Westdeutschland genauso verbreitet sind.
Wir sind ein Deutschland. Und ich bin froh darüber. So viele Menschen wären mir nie begegnet, so viele Länder hätte ich nicht gesehen, so viele Freiheiten und Rechte hätte ich heute nicht. Ich bin dankbar, dass es vor 35 Jahren zur friedlichen Revolution gekommen ist. Demokratie und Frieden sollten wir unbedingt bewahren – in der gesamten Republik.
Liebe Nine, das ist ja witzig, dass Du diesen Beitrag geschrieben hast, da ich seit kurzem ein Sachbuch über die ehemalige DDR lese und Dir dieses Buch empfehlen wollte. Vielleicht können wir ja bei einem Treffen darüber sprechen. Dein Beitrag gefällt mir sehr. Liebe Grüße Ulrike
Sehr gerne, liebe Ulrike, ich bin gespannt.
Hallo Janine, danke für die Tipps und deinen persönlichen Bericht. Ich finde den Text wunderbar geschrieben. Liebe Grüße Beatrice
Danke dir, liebe Beatrice, von Herzen.